Vollautomatische Abdrücklok für DB Cargo

DB Cargo plant die Vollautomatisierung der Abdrückloks in Zugbildungsanlagen. Zu diesem Zweck ist es nötig, die bisher vorhandenen Abdrückbefehle aus dem Ablaufstellwerk auf benachbarte Prozessschritte auszuweiten. Zudem ist das Fahrzeug mit Sensor- und Sicherheitstechnik auszustatten, die eine zusätzliche Gefährdung für Menschen und Betriebsmittel verhindern muss. Darüber hinaus werden weitere einfache Tätigkeiten rund um das Rangieren (Beidrücken, Stehenbleiber räumen, Falschläufer hochziehen, Rangierfahrt am Berg vorbei) von der Abdrücklok ausgeführt und sind somit innerhalb des Automatisierungsaufgabenbereichs zu sehen. Ziel ist es, ein GoA4- (Grade of Automation) System als Nachrüstlösung zu entwickeln, damit die Voraussetzungen für eine Installation auf verschiedenen Lokbaureihen erfüllt sind, sowie spätere Erweiterungen für weitere Rangierfahrten z.B. auch in Terminals und Häfen möglich sind.

Bis Ende 2024 sollen die kommerzielle Betriebserprobung und die Zulassung in der ZBA München- Nord erreicht werden. Die Erprobung erfolgt zunächst auf einer Bestandslokomotive der Baureihe 296. Die Zulassung für den GoA4-Betrieb ist voraussichtlich auf einer modernen Hybridlok umzusetzen. Das Unternehmen Railergy aus Augsburg bringt langjährige Erfahrung in den Bereichen der Nachrüstung von Onboard-Systemen sowie der Positionierung und Fernsteuerung mit und entwickelte ein maßgeschneidertes und umfassendes Konzept für die Entwicklung, Erprobung und Zulassung der Lokkomponente. Railergy hat ein modulares Nachrüst-TCMS für Bestandsfahrzeuge im Programm, das es ermöglicht, auch alte Lokomotiven und Triebwagen mit Schnittstellen für ATO, ETCS und andere digitale Systeme auszustatten.

Mit Thales Deutschland wurde die erste Fernsteuerungslösung über 5G entwickelt. Railergy wird unterstützt von Bachleitner Technology (sichere Rechnerplattform und Kameras), Ouster (3D- Lidar-Sensoren), ParkVi (Bildverarbeitung), Applanix (GNSS/INS) und Systerel (Safety und Zulassungsbegleitung).

Die wichtigsten Funktionen der Lokkomponente sind die Ermittlung der Position der Lok im Rangierbahnhof, die präzise Steuerung von Antrieb und Bremsen, die sichere Überwachung von Geschwindigkeit und Einsatzbereich sowie die sichere Erkennung von Hindernissen und Signalen. Für die Positionsbestimmung der Lok kommt ein innovatives System zum Einsatz, welches ohne streckenseitige Installationen wie Balisen auskommt. Durch einen ständigen Abgleich der Positionsänderungen des Fahrzeuges, die durch eine IMU ermittelt werden, mit der präzisen Infrastrukturkarte und bekannten „Landmarks“ (wie Signalen und Bauwerken) wird eine relativ grobe (ca. 3 m), aber sichere Positionsbestimmung erreicht. Ergänzt wird das System durch eine genaue Positionierung über GNSS (Genauigkeit ca. 0,5m). Während die sichere Position der Zugsicherung dient wird die genaue Position zur Feinsteuerung genutzt.

Die Hindernis- und Signalerkennung arbeitet nach dem gleichen Konzept: Mit sicheren und zulassungsfähigen Mess- und Auswertungsverfahren (ohne künstliche Intelligenz) lassen sich Objekte zuverlässig erkennen. Damit wird stets ein sicherer Betrieb gewährleistet. Zur Erhöhung der Produktivität wird parallel ein KI- basiertes System eingesetzt. Durch das kontinuierliche Überwachen der KI-basierten Funktionalität über die sichere Objekterkennung wird die Zulassungsfähigkeit erreicht. Zugleich entsteht ein Spielraum, um innovative Validierungs- und Testverfahren auch für die KI-Anteile der Software zu entwickeln. Bislang stehen für solche Anwendungen nämlich keine anerkannten Zulassungsprozesse zur Verfügung.

Während sich weltweit GoA4-ATO-Systeme in der Entwicklung und Erprobung befinden, stellt der Schritt zu einer im kommerziellen Eisenbahnbetrieb zugelassenen Lösung eine neue Qualität dar.